Nach zwei Jahren Arbeit, die mitunter einem Intensivkurs in Menschenkunde und Konspirationslatein glichen, eröffnete am 26. August 2005 die Ausstellung ostPUNK! / too much future .

Die Inszenierung der DDR-Punkszene, also die Präsentation ihrer Hinterlassenschaften, ihrer zehnjährigen Entwicklung, aber auch ihrer Mutationen in andere Welten, machte öffentlich, was Subkultur im Osten war und was bis 15 Jahre nach ihrem Verschwinden Underground blieb.

Wir wurden immer wieder gefragt, ob die Ausstellungs-Initiative eine Reaktion auf Jürgen Teipels Buch gewesen wäre. Natürlich hat uns dieses Buch beeindruckt und auch schwer amüsiert. Aber um Auslöser für die Ostpunk-Offensive zu sein, die Ausstellung, Film, Buch und Sampler umfaßt, kam seine Veröffentlichung zu spät. Weitaus wichtiger für die Befeuerung unserer Pläne war das Vorbild für den sogenannten "Doku-Roman" Teipels, nämlich "Please Kill Me" von Legs McNeil und Gillian McCain, dem Buch zur Geschichte der amerikanischen Punkszene, sowie - und vor allem - "England's Dreaming" von John Savage, dem Standardwerk zur englischen Punkgeschichte. Beide Bücher haben mit Liebe und einer gehörigen Portion Sarkasmus Punk als einen Moment westlicher Krisis wiederbelebt, ohne ihn nur zu reanimieren.

Die Kraft dieser beiden Bücher und die gesunde Distanz zu ihrem Gegenstand war ausschlaggebend dafür, einen Ostpunk-Sampler und einen Film auf den Weg bringen zu wollen, die nicht einfach retro sind. Die Ausstellung war eher so etwas wie ein natürliches Abfallprodukt dieser Initiative. Daß sie dann derart viel Zeit und menschliche Ressourcen in Anspruch nahm, gehörte allerdings nicht zu unseren Plänen. Daß sie dann aber wenigstens ein voller Erfolg werden sollte schon eher.

Dennoch übertraf die Resonanz auf die Ausstellung alle unsere Erwartungen. ostPunk! / too much future erzeugte ein großes Echo, auch über Berliner Grenzen hinaus. Allein zur Ausstellungseröffnung in den drei Etagen einer alten Fabrik in Prenzlauer Berg erschienen an die 2500 Gäste, man sah die Ausstellung vor Besuchern nicht. Über die gesamte Ausstellungsdauer von nur 16 Tagen erschienen ca. 5000 Leute - Punks, ehemalige Punks, aber zum überwiegenden Teil Besucher, die an einem sehr speziellen Moment der Popgeschichte oder aber an der jüngeren deutschen Geschichte überhaupt interessiert waren.

Die Ausstellung dokumentierte zunächst einmal die bizarre Seite der Punkszene und deren Willen zur Selbstbestimmung und erst dann die einsetzende Verfolgung durch die Staatsmacht als logische Konsequenz. Wir wollten diese Verfolgung als Reaktion auf das Entstehen und die zehnjährige Entwicklung einer virulenten Szene behandeln, die nicht in Abhängigkeit von den Repressionen der Staatssicherheit porträtiert und verstanden werden kann, sondern zunächst einmal dadurch, dass sie sich Freiheiten nahm, die bis dahin in der DDR undenkbar waren. Insofern stellte die Ausstellung nicht den Anlaß dar, 16 Jahre nach ihrem Zusammenbruch mit der DDR abzurechnen. Sie ließ die Geschichte für sich sprechen, die von selbst auf ein Disziplinarregime verweist, und widmete sich dem Versuch junger Leute, sich in Grenzen frei zu bewegen.

Dieser Versuch schloß eine ästhetische Selbstbestimmung außerhalb der Grenzen des Sozialistischen Realismus ein. Er betraf Malerei, Performances, Super8 und Dichtung sowie die übergreifende Verbindung aller künstlerischen Umtriebe.

Was die Punkszene angeht, fand dieser Versuch der Selbstbestimmung und Selbstinszenierung zuallererst in der Musik statt. Ohne Aussicht auf ein größeres Publikum, dafür aber mit der Gewißheit ihrer Verfolgung, gründete sich eine Vielzahl von Bands. Mit geladenen Songs und äußerst politischen Texten fegten sie die staatlich sanktionierten Ostrockballaden einfach zurück in die Propagandakanäle und etablierten gegen alle Widerstände eine Parallelszene, die dem Staatsrock nicht nur Verachtung, sondern auch eine äußerst vergnügte Ignoranz entgegensetzte. Nur wenige von ihnen traten aus der Illegalität der Keller überhaupt heraus und vor einem Publikum auf. Die seltenen Konzerte fanden zumeist in heillos überfüllten Ateliers von der Szene nahestehenden Malern oder auf dem quasi exterritorialen Gebiet von Kirchenräumen statt, vor entzückten Punks und einer nicht selten überforderten Gemeinde. Etliche Musiker dieser Bands wurden anschließend durch die Staatssicherheit observiert, drangsaliert und inhaftiert.

Für die Musiker bzw. angehenden Künstler der Szene glich die Zeit als Punk in der DDR eher einem Transitraum. Sie gingen da durch, um woanders anzukommen. Ihre Biografien erfuhren, nach ihrer Ausreise oder mit dem Ende der DDR, keinen Abbruch, sondern eine Fortführung in sehr verschiedene Richtungen und Lebensweisen. Diese Entwicklung nicht zu unterschlagen, sondern zu zeigen, gerade wenn sie sich mitunter sehr weit von Punk wegbewegte, war von Beginn an Teil der Ausstellungsidee.

Zur Ausstellung erschien ein Katalog, dessen erste Auflage 750 Exemplare betrug. Diese Auflage wurde, abzüglich der Presseexemplare, am Abend der Eröffnung vollständig verkauft.

Christoph Tannert, Geschäftsführer des Künstlerhaus Bethanien, war Produzent der Ausstellung. Entscheidend an der Ausstellung beteiligt waren Dirk Teschner, der insbesondere die Präsentation der Thüringer Punkszene besorgte, und Heinz Havemeister, der für die Ausstellung in den Stasiarchiven recherchierte und forschte.

Für die Ausstellungsarchitektur zeichnete Andrea Pichl verantwortlich, die mit ihren Entwürfen die russische Avantgarde, speziell den russischen Konstruktivismus zitierte und somit eine Kopie der reichlich oft imitierten Punkästhetik vermeidend, Punk in der DDR noch weiter ostwärts und in die Geschichte der Avantgarden verrückte.

Die Ausstellung wurde vielfach durch Beiträge und Features in Rundfunk wie Fernsehen vorgestellt. Darüberhinaus erschienen über die Dauer der Ausstellung etliche Artikel in Tageszeitungen und Magazinen.